Figurenanalyse in der Finanzberatung: Reto Stalders Weg vom Schauspieler zum Top-Berater

Reto Stalder ist gelernter Konstrukteur, Schauspieler, Finanzblogger und wurde kürzlich zum Finanzberater des Jahres gewählt. Im Interview berichtet er, wie er mit der Devise «einfach mal ausprobieren» die Intransparenz der Finanzwelt bekämpft, und wie er seine kreativen Fähigkeiten aus der Schauspielerei in seinen Beratungen nutzt.

Reto, deine erste Aktie hast du bei einer Recherche für eine Rolle bei einer Theaterproduktion gekauft. Wie kam es dazu?

Ich sollte in einem Theaterstück einen WG-Mitbewohner spielen, der im Banking arbeitet. Ich hatte jedoch keine Ahnung vom Thema – bisher besass ich ein Spar- und ein Lohnkonto, mehr nicht. Mir ist das Thema auch immer ein wenig suspekt vorgekommen. Was machen denn diese Leute den ganzen Tag? Das musste ich irgendwie herausfinden. Also recherchierte ich, schaute Videos und las mich durch Blogs und Unterlagen. Ich bekam Lust und wollte auch selbst mal ausprobieren, wie das ist, eine Aktie zu kaufen und zu betreuen. Damals, im 2018, ging das noch nicht ganz so einfach und schnell wie heute. So kam ich in den ersten Kontakt mit dieser Welt, und der hat mich seither nicht mehr losgelassen. 

Nun betreibst du seit vier Jahren deinen Finanzblog Finanzdepot.ch und hast zwei Ausbildungen abgeschlossen – erst zum zertifizierten Vermögensberater und dann zum diplomierten Finanzberater. Was hat dich so gepackt?

Entweder ich vertiefe mich voll und ganz in eine Materie, oder lasse es  komplett sein. Beim Banking begab ich mich ins «Rabbit Hole». Wenn mich mal etwas wirklich interessiert, knie ich mich richtig hinein. Etwas dazwischen gibt es bei mir nicht. Und obwohl das Thema Banking anfangs fremd und weit von mir weg war, realisierte ich immer schneller, dass im Alltag fast alles mit Finanzen zu tun hat. Dieser Aspekt hat mich fasziniert. Man kann dem Thema nicht entfliehen.

Reto Stalder betreibt den Blog «Finanzdepot.ch», in dem er Finanzthemen transparent und verständlich aufbereitet.

Du schreibst in deinem Blog, dass dir vieles zu intransparent und kompliziert war, als du angefangen hast, dich mit Finanzen auseinanderzusetzen. Wie konntest du dir das fundierte Wissen trotzdem aneignen?

Das meiste habe ich gelernt, indem ich es einfach selbst ausprobiert habe. Ganz nach dem Motto «Selbst auf die Nase fallen». Was ist der Unterschied von Geld- und Briefkurs? Klar, das kann man in der Theorie nachlesen. Aber wenn man selbst nie ein Wertpapier besessen hat, kann man das nie richtig verstehen. Als Berater rate ich meinen Kundinnen und Kunden aber nicht, sie sollen alles einfach mal versuchen. Denn ich habe mittlerweile genügend Fehler gemacht, damit sie es nicht mehr machen müssen.  

Versuchst du mit deinem Blog die Intransparenz in der Branche zu bekämpfen?

Es gibt eine Aussage, die mir gefällt: «Intransparenz ist ein Geschäftsmodell». Das hat was. Die klassischen Banken haben kein Interesse daran, transparent zu machen, was genau in welchen Kosten drin steckt, oder wer wo wieviel Geld verdient. Davon kommen wir aber zum Glück immer mehr weg. Auch dank neuen, digitalen Anbietern. Es braucht noch viel, vor allem in der Schweiz, aber das alte System bröckelt langsam. Das Ziel meines Blogs ist es, die Leute anzustupsen, damit sie die Angebote kritisch hinterfragen. Als Berater will ich Menschen dazu befähigen, sagen zu können; «aus diesem und jenem Grund passt das nicht zu mir». 

In deinem Blog machst du häufig Analysen zu Finanzprodukten und -büchern. Was sind die Kriterien, auf die du bei deiner Bewertung achtest?

Es gibt Produkte, die ich nicht gut finde, und das würde in einer Bewertung klar rauskommen. Die Anbieter hätten daran natürlich keine Freude – deshalb findet man auf Finanzdepot.ch in der Regel auch keine Bewertung von solchen Produkten. Meistens nehme ich Produkte unter die Lupe, die ich auch persönlich nutzen würde. Wenn ich es nicht selbst ausprobieren kann, finde ich es uninteressant. Das wichtigste Argument für mich ist die Transparenz: Das Produkt darf schon etwas kosten, allerdings muss ich wissen, was genau wieviel kostet. Zudem mag ich es, wenn es keine unnötige Komplexität gibt. Die Bedienungsoberfläche sollte simpel sein. Ich möchte alles schnell verstehen können.

Ursprünglich lerntest du Konstrukteur und hauptsächlich arbeitest du als Schauspieler. Daneben bist du auch Finanzberater. Helfen die Erfahrungen von derart verschiedenen Lebenssituationen bei der Arbeit als Berater?

Ich glaube für meine Beratungskundinnen und Kunden ist es erfrischend, mit jemandem zu reden, der seine Lehre nicht im Banking oder bei der Versicherung gemacht hat. Die Schauspielerei hilft mir, mich in andere Leute hineinzuversetzen. Ich habe Empathie  für die verschiedenen Lebensentwürfe anderer Leute. So kann ich sie dort abholen, wo sie momentan stehen. Es kommt aber auch auf die Kundinnen und Kunden drauf an. Bei solchen mit wenig Ahnung ist es hilfreich, erstmal einen Draht zu ihnen zu finden. Bei denen, die sich schon mehr mit dem Thema auseinandergesetzt haben, kann ich technischer vorgehen.

Schauspiel und Finanzen – sind die beiden unterschiedlichen Interessen der perfekte Ausgleich für dich oder gibt es Gemeinsamkeiten?

Vor jeder Beratung kommen zuerst Vorbereitungen im «stillen Kämmerli». Diese sind zahlenlastig und einsam. Die Beratungen basieren dann auf einer zwischenmenschlichen Ebene. Da ist es wichtig herauszuhören, welche Bedürfnisse da sind – vor allem auch, wenn diese noch nicht konkret in den Köpfen formuliert sind. Dann muss ich eine Art Figurenanalyse machen, und in ihr Inneres vordringen, um sie zu verstehen. Ich kann also durchaus meine Fähigkeiten von der Schauspielerei auch bei den Beratungen einbringen.

Der Berner Reto Stalder ist hauptberuflich Schauspieler. Unter anderen war er in der Krimi-Serie «Der Bestatter» zu sehen. (Fotograf: Nils Schwarz)

Dein Angebot an Beratungen ist sehr breit gefächert – von Budget, über Investitionen und Vorsorge bis hin zu Immobilien. Würdest du anraten, in einer Finanzplanung auf alles gleichzeitig zu achten oder ist es durchaus möglich, sich auf ausgewählte Finanzthemen zu konzentrieren?

Angefangen habe ich mit Beratungen zu Investitionen. Dabei habe ich gemerkt, dass sich von den Kundinnen und Kunden eine Rundumsicht erwünscht wird. Deshalb habe ich mich auch zum Finanzberater weitergebildet. Meistens kommen Leute zu mir, weil sie mehr über einen Teilaspekt wissen wollen. Ein klassisches Beispiel ist das Ehepaar mit einem Haus, das sich fragt, was passieren würde, sollte jemand von ihnen sterben. Ist das Haus dann noch tragbar? Es hilft, ein möglichst breites Bild zu erfassen. Am Anfang ist das jedoch ein zu grosser Brocken. Eine Stunde lang über Finanzen zu reden, erschöpft die meisten. Deshalb versuche ich es schrittweise aufzubauen. Über die Monate hinweg erhält man so durchaus eine fundierte Gesamtsicht. 

Was unterscheidet deine Beratung von derer von Banken?

Klassisch ist es so: Man kommt in die Bank, wird in die Marmorhalle gesetzt und erhält ein Kaffee. Dann wird man «gratis» beraten. Da ist man aber selbst das Produkt. Es ist ja nicht gratis, sondern man bezahlt es über das, was man abschliesst und im Hintergrund fliessen Provisionen. Nur bei einer Beratung, die auf Stundenhonorar basiert, kann man das umgehen. Denn solche Berater müssen keine Produkte verkaufen. Die Honorar-Methode ist in der Schweiz noch nicht so weit verbreitet, aber es kommt immer mehr auf. Ich spüre von meinen Kundinnen und Kunden, dass es ein Bedürfnis ist.

Welche Fehler machen Neukundinnen und -kunden oft?

Oft kommen sie mit zu detaillierten und strikten Budgetplänen zu mir. Dann schaue ich die Lage auf ihren Konten an und sehe: die stimmt überhaupt nicht mit dem Plan überein. «Wo sind die 2’000 Franken, die du laut Plan jeden Monat sparen wolltest?». Meist drucksen sie dann herum. Beim Sparen ist es ähnlich, wie beim Abnehmen: Wenn der Plan so strikt ist, dass du dich im ersten Monat nicht daran halten kannst, dann kannst du es gleich sein lassen. 

 

Danke für das interessante Gespräch. 

Reto Stalder ist Schauspieler und Finanzberater. Neben seiner erfolgreichen Schauspielkarriere berät er seit mehreren Jahren in Finanzfragen und wurde 2023 zum Finanzberater des Jahres gekürt. Zudem betreibt er den Finanzblog «Finanzdepot.ch».